Sonntag, 25. März 2007

Henryk M. Broder kennt den Unterschied zwischen Anlass und Grund nicht

Gestern wohnte ich einer Lesung von Henryk M. Broders neuestem Werk "Hurra, wir kapitulieren!" auf der Leipziger Buchmesse bei. Auf Broder bin ich eigentlich erst vor zwei Tagen aufmerksam geworden, ich hatte absolut keine Ahnung von seiner Existenz, als ich zum ersten Mal seit gut zwei Jahren eine taz gekauft habe und dort in einem Artikel über den mittlerweile jedem bekannten Richterinnenentscheid in Frankfurt ein Broder-Zitat entdeckte, versehen mit einem Hinweis auf sein oben erwähntes "islamkritisches" Buch.

Das hätte mich eigentlich hellhörig machen sollen, aber da man von der taz und von der "alternativen Linken" ja nun so Einiges gewohnt ist, habe ich in meiner Naivität beschlossen, dass der Verfasser wohl "islamismuskritisches" meinte; weit gefehlt allerdings. Der Verfasser irrte tatsächlich, allerdings nur im zweiten Teilwort

Mit Kritik hatte das vorgetragene nur sehr entfernt und bei sehr wohlwollender Betrachtung etwas gemein. Ich bereue es, keinen Zettel mitgenommen zu haben, um all die Unstimmigkeiten aufzeichnen zu können, die 40 Minuten lang auf das gut angezogene Publikum rollten. Ein paar Einwände konnte ich anhand dessen, was ich im Kurzzeitgedächtnis zu behalten imstande war, immerhin vorbringen, woraufhin ich hinausgegangen bin. Unter anderem ging es darum, dass der Unterschied zwischen Islam und Islamismus von der "politisch korrekten", verängstigten westeuropäischen Gesellschaft vor wenigen Jahren erfunden worden sei - er basiert also offenbar keinswegs auf einer simplen logischen Analyse alltagssprachlicher Begriffe wie Religion, religiöser Extemismus, religiöser Fundamentalismus und Islam. Ebenso wenig war die lokale Entscheidung gerechtfertigt, das Tragen von Kruzifixen und Kippas für Schullehrer zu verbieten - denn es sei ja damals um das Kopftuch gegangen. Der Islam, so Broder, laufe auf eine simple Lösung von Lebensproblemen hinaus, die ganz einfach die Augen vor ihnen verschließe. Wir seien bloß eine verweichlichte Gesellschaft, die in den letzten Jahren nicht gezwungen gewesen sei, ihre Grundsätze zu verteidigen - stattdessen ging es um solche Lappalien wie das Rauchverbot oder - im gleichen Atemzug genannt - die Homo-Ehe.

Ich habe versucht, zu sagen, dass logische Konstrukte nicht abhängig sind von Zeit und Raum, dass sie es per definitionem nicht sind. Wer anders denkt, denkt nicht logisch. Hier geht es um keinen Meinungspluralismus, sondern um dessen basalste Voraussetzungen. Dass der Kopftuch in der damaligen Debatte bloß die Rolle eines Anlasses gespielt haben dürfte, eigentlicher Grund aber der Konflikt zwischen Religion und Schule bzw. Religion und Staat war. Dass eine Darstellung einer Religion als vereinfachende Problemlösungsstrategie wiederum vereinfachend ist und ausschließlich von einer Ignoranz demgegenüber zeugt, was Religion überhaupt eigentlich ist. M.P., der mit mir anwesend war und nach dem Verlassen des Saales meinerseits noch geblieben ist, erzählte mir, dass Broder mit dem üblichen lauwarmen Witz im hinteren Winkel sagte, er kenne keinen Unterschied zwischen Anlass und Grund. Das Traurige ist, dass ich beinahe geneigt bin, ihm zu glauben.

Die meisten im Publikum Anwesenden kannten ihn wohl wirklich nicht. Die Stimmung war stammtischartig, hinter uns saß ein älterer Herr mit dem Gesicht eines Alkoholikers, der immer wieder "richtig" oder "genau" sagte. Als M.P. sich darüber aufgebracht zeigte, sagte entweder der Herr oder seine Begleiterin: "Na, Sie haben bestimmt fünfzig Bücher vor dem Vortrag gelesen, um sich aufzuregen". Es sollte bissig sein.

Das ist das Publikum Broders. Menschen, die sich logischen Schlüssen verweigern und für die Bücherlesen eine Beleidigung ist. Was sage ich - Broder selbst hat, nachdem ich gegangen bin, sarkastisch gesagt, ich sei wohl Bücher über den Unterschied von Anlass und Grund lesen gegangen. Eine argumentierte Reaktion auf meinen Beitrag erfolgte im Übrigen nicht.

Der Kulminationspunkt des Abends folgte wenig später. Es meldete sich ein "national gesinnter" Mann. Er zeigte sich einverstanden mit Broders Polemik. Sagte, die Araber hätten keinen "Assimilationswillen". M.P. und K. erzählen beide, dass Broder sich daraufhin schlagartig veränderte. Er redete plötzlich ohne den lauen Witz, wie ein ganz normaler Mensch, relativierte und nahm vieles zurück, was er davor und in seinem Vortrag gesagt hatte. Schade, dass ich dem nicht mehr beiwohnen konnte.

Etwa ein Viertel des Publikums hat mir applaudiert. Der Rest Broder. Traurig, dass man mitten unter Menschen lebt, die im Namen der Verteidigung der kulturellen Grundsätze ebendiese Grundsätze der logisch-kritischen Reflexion über den Haufen werfen und blamieren.

Und hier gibt es einen Blog nur über Broder! http://brodaganda.wordpress.com/

Niggemeier schreibt

"[...] Und weil das Internet bekanntlich ein Medium ist, in dem zunehmend auf dem Niveau von Kannibalen-Selbsthilfegruppen diskutiert wird, kommt auch „Watchberlin” nicht ohne Henryk Modest Broder aus. „Broder, oder!” heißt sein Videoblog, in dem er sich als „Kitschsammler” ausgibt und geschmacklose Marien-Figuren und Schneekugeln mit Papst oder Jesus zeigt. Warum? Um zu fordern, dass wir so lange nicht mit unseren „moslemischen Brüdern und Schwestern” diskutieren, bis das „auf gleicher Augenhöhe” geschehen kann — bis also der Islam eigenen Kitsch produziert. Denn:

„Kitsch ist Menschlichkeit.”

Ah ja.

Ich habe länger nach einem freundlichen Adjektiv gesucht, um diese Argumentation zu beschreiben. Mir ist nur „originell” eingefallen. [...]"

Morgen erscheint eine Ausgabe der BILD für Pseudointellektuelle (= Spiegel) mit einem Beitrag Broders zur Titelgeschichte

Und hier gibt es zum Beispiel eine Parodie auf Bushido

http://www.youtube.com/watch?v=b2ceRcdIWGs

Fasst Broder wesentlich besser zusammen als Broder selbst, ja

Keine Kommentare: